Celeste im Test (Switch): Der Tod lauert alle 17 Sekunden (2024)

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“Videobeweis!”, verhallt es ungehört, als ich zum x-ten Mal haarscharf scheitere und klirrend an den Stacheln zerschelle. Ein lĂ€cherlicher Versuch, dass erneute Versagen auf einen vermeintlichen Fehler im Spiel zu schieben. Und ich scheiterte oft an Celeste. Nicht weniger als eintausendachthundertdreiundfĂŒnfzig mal. Im Schnitt alle 17 Sekunden. Doch das war es wert, denn Celeste ist ebenso ein knallharter wie wunderschöner Indie-Titel mit Tiefgang, AtmosphĂ€re in herrlicher Grafik im Retro-Stil. Ein kurzer Bericht zum Celeste Test auf der Switch.

Gespielt habe ich Celeste im Übrigen im Zuge der Pile of Nothing Jahreschallenge von Goldfuchs. Wer also noch einen Stapel liegen gebliebener Videospiele hat, möge sich doch beteiligen. Jeden Monat gibt es ein anderes Thema. Auf den Indie-MĂ€rz folgte der aktuelle Action-April.

Achtung: Dieses Jump ‘n Run hat eine Story. Sogar eine Richtige!

Celeste handelt von der jungen Madeline, die die Prinzessin befreien muss die Bananen zurĂŒckholen
.und genau an dieser Stelle unterscheidet sich Celeste angenehm von gefĂŒhlt 95% der Vertreter seines Genres. Keine EntfĂŒhrung! Nix geklaut! Statt seichter Story ein tiefgrĂŒndiges Thema. Die Protagonistin Madeline hat sich zum Ziel gesetzt, den titelgebenden Mount Celeste zu besteigen. Zu lesen ist das Ganze als eine Metapher auf Depressionen, die im Laufe des Spiels immer wieder durchscheinen. Es ist ein Kampf Madelines gegen sich selbst – buchstĂ€blich, so viel sei verraten.

Celeste im Test (Switch): Der Tod lauert alle 17 Sekunden (1)

Zurecht kann man einwenden, dass die Hintergrundgeschichte in einem Jump ‘n Run nicht das Wichtigste ist. Das stimmt. Genre-Primus Mario kommt seit fast vier Jahrzehnten mit der gleichen “Jungfrau in Nöten”-Leier aus. Doch Celeste demonstriert eindrucksvoll, dass mehr Story dem Genre durchaus gut tun wĂŒrde. WĂŒrde eine andere Hintergrundgeschichte einem Super Mario schaden?

Madeline ist nicht alleine. Eine handvoll liebevoller Charaktere, der sie auf der Reise immer wieder begegnet, sorgen neben der ernsten Geschichte fĂŒr eine angenehme Prise Witz. So zum Beispiel der coole Theo, der als Kind unserer Zeit keine Gelegenheit auslassen kann, noch ein Selfie zu knipsen. Oder Herr Oshiro, ein nervöser Hotel-Besitzer, der nach einer Ewigkeit seinen ersten Gast nicht verprellen will. Ab und an kann man sogar selbst kleine ausgewĂ€hlte Dialoge mit den anderen Charakteren fĂŒhren. Durch seine erzĂ€hlerische Inszenierung schaffte das Spiel es, dass einem die Protagonistin Madeline in kurzer Zeit ans Herz wĂ€chst.

Gameplay: Celeste ist schnörkellos


Im Prinzip spielen klassische Gegner in Celeste keine große Rolle. Es gibt einen großen Endgegner und das ist eben der Berg selbst. Entsprechend stehen Sprungpassagen im Vordergrund, wobei durch AbgrĂŒnde und Stacheln der Tod omniprĂ€sent ist. Mehr als Springen, Laufen, Klettern und der Dash-Jump stehen zum Hindernisse ĂŒberwinden nicht zur VerfĂŒgung.

Was Cappy fĂŒr Super Mario Odyssey ist, ist dieser Dash-Jump fĂŒr Celeste: Das Gameplay-Element, das das Spiel aus der Masse hervorhebt und die charakteristische Spielmechanik bildet. Der Dash-Jump ist eine blitzschnelle Bewegung Madelines in eine gewĂ€hlte Richtung, die auch an einen Sprung anschließen kann. Die Krux: Sie kann nur einmal ausgefĂŒhrt werden bis Madeline wieder festen Boden unter den FĂŒĂŸen hat. Optisch hervorgehoben ist der Zustand durch ihre dann blau statt rötlich gefĂ€rbten Haare.

Celeste im Test (Switch): Der Tod lauert alle 17 Sekunden (2)

Der Dash muss also hĂ€ufig taktisch eingesetzt werden und verleiht dem Spiel noch mehr Schnelligkeit. In jedem Level wartet Celeste mit neuen Elementen auf, die fĂŒr ausreichend Abwechslung sorgen. So gibt es in der Luft platzierte Steine, die den Dash Zustand wiederaufheben und einen neuerlichen Dash erlauben, ohne vorher Boden unter den FĂŒĂŸen gehabt zu haben. Es ist clever, sich die kommende Passage genau anzusehen und sich seine SprĂŒnge vorher zu ĂŒberlegen.


und beinhart: Der Tod kommt alle 17 Sekunden.

Dass das Besteigen eines hohen Berges kein Spazierhang ist, dĂŒrfte klar sein. Die Illusion, einmal schnell durch die hĂŒbschen Level durchzuhĂŒpfen, stirbt schnell und dieses Klirren, wenn Madeline an Stacheln zerschellt, war fĂŒr mich rasch Bestandteil des Soundtracks (der am Rande erwĂ€hnt ĂŒberragend ist). Angenehm ist der extrem schnelle Respawn, sodass man auf Grund der hohen Anzahl der Tode keine Zeit verliert einen neuen Versuch zu starten. Leben gibt es nicht, Madeline kommt immer wieder und ein Game Over Bildschirm existiert folglich nicht.

Mit einer Mischung aus Erschrecken und Scham habe ich festgestellt, dass Celeste einem nach jedem erfolgreichen Level die Anzahl der Tode aufs Butterbrot schmiert. Noch felsenfest davon ĂŒberzeugt, diesen Ausdruck spielerischen Versagens niemals in die Öffentlichkeit zu tragen, flatterte ein Brief auf den Bildschirm. Das SchriftstĂŒck ermunterte mich, die Zahl der Tode nicht als Scheitern sondern als ein Prozess des Lernens aufzufassen. Je mehr, desto besser. Also schaut her: Ich bin im ersten Kapitel 114 mal und bis zum Gipfel rund 1850 mal gestorben. Ich kam auf eine Spielzeit von rund acht einhalb Stunden, was im Schnitt einen Tod alle 17 Sekunden bedeutet. Wie oft bist du gestorben?

Die Anzahl hÀtte bei mir durchaus noch höher ausfallen können, denn in jedem Kapitel ist noch eine Kassette versteckt. Mit diesem Nostalgie-Objekt schaltet man die B-Seite frei: Ein noch schwierigeres Level. Das ist jedoch als Bonus zu verstehen und nicht notwendig um das Spiel durchzuspielen. Aus diesem Grund habe ich die Suche nach den Kassetten erst einmal links liegen lassen und mache mich erst jetzt ganz in Ruhe auf die Suche danach. Weitere Motivation und eine erhöhte Spieldauer sind also vorhanden.

Ebenso vernachlĂ€ssigt habe ich (zunĂ€chst) das Erdbeeren-Sammeln. Erdbeeren sind anders als die TontrĂ€ger hĂ€ufig offensichtlich platziert, dafĂŒr aber schwierig zu erreichen. Die FrĂŒchte erfĂŒllen keinen wichtigen Zweck in der Story und sind kleine Herausforderungen innerhalb der großen Herausforderung. Jede Erdbeere birgt viel Potenzial das Tode-Konto noch deutlich nach oben zu schrauben. Wichtig ist noch zu erwĂ€hnen, dass das Indie zwar schwierig, aber keinerzeit unfair ist.

Ein Spiel mit Story, Herz und AtmosphÀre

In Celeste sind die Teil-Elemente hervorragend aufeinander abgestimmt. Es ist eine Geschichte des Selbstzweifels, des Kampfes gegen sich selbst sowie des Scheiterns und letztlich der Überwindung des Scheiterns. So ist es nur konsequent, dass das Spiel einem alles abverlangt, denn wie wĂŒrde die Geschichte mit einem fluffigen Schwierigkeitsgrad eines Kirbys zusammenpassen? Eben gar nicht, sonst wĂŒrde man wohl von einer ludo-narrativen Dissonanz sprechen mĂŒssen (den Begriff habe ich kĂŒrzlich in einem Artikel auf spielkritik.com kennengelernt und finde ihn zu schön um ihn nicht zu nennen).

Als ich mich auf dem Sofa sitzend leicht nach vorne beugte um dem Wind – weißen fliegenden Pixeln – in einem stĂŒrmischen Level zu trotzen, muss das albern ausgesehen haben. Die im Affekt ausgestoßene Forderung nach Videobeweis, die bereits eingangs erwĂ€hnt wurde, dĂŒrfte nicht besser wegkommen. Aber diese Dinge haben mir selbst gezeigt, wie sehr mich Celeste mit seiner Heldin doch in seinen Bann gezogen hatte. DafĂŒr braucht es keine realitĂ€tsgetreue Grafik in 4K. Es braucht AtmosphĂ€re. Und die erzeugt Celeste mit wenigen Pixeln und sagenhaftem Soundtrack.

Celeste gehört zweifelsfrei zu den besten Indie Spielen auf der Switch und belegt derzeitbei metacritic mit einem durchschnittlichen Score von 92% den dritten Platz der bestbewerteten Switch Spiele. Um zwei kleinere Kritikpunkte zu nennen: Das Spiel unterstĂŒtzt keinen HD Rumble, sondern nur die einfache Vibration. Gewöhnt an den Komfort dieses speziellen Switch Vorzuges, hat es mich leicht gestört und ich habe die Vibration ausgestellt. Leider gibt es Celeste nur als Download und somit ist keine physische Version erhĂ€ltlich. Gerne hĂ€tte ich Celeste im Regal stehen. Das Spiel hĂ€tte es verdient gehabt. Update 08.12.2018: Wie heute bekannt gegeben worden ist, wird Celeste physisch bei Limited Run Games erscheinen. Ab dem 01.01.2019 kann das Spiel auf deren Webseite fĂŒr voraussichtlich zwei Wochen offen vorbestellt werden (Switch und PS4).

Wer also 20 Euro ĂŒbrig und ein Herz fĂŒr schwierige Platformer hat, der kommt an Celeste nicht vorbei. Wie dieser Celeste Test aber auch gezeigt haben sollte, sollten Spieler mit weniger Geduld und niedriger Frustrationsschwelle lieber einen Bogen um dieses Indie machen.

Screenshots: Celeste Game

Celeste im Test (Switch): Der Tod lauert alle 17 Sekunden (2024)

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Author: Roderick King

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Name: Roderick King

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